Bewusst ließ ich mir mit diesem Ort mehr Zeit und reiste erst am Ende meines Indien-Trips in den Bundesstaat Uttar Pradesh. Varanasi kann man mit keiner anderen Stadt in Indien vergleichen, welche ich besuchte. In der Vergangenheit hörte ich schon einiges über diesen heiligen Hindu-Ort – viel Gutes, aber nicht ausschließlich. Persönlich würde ich Varanasi eher als hässliche Stadt bezeichnen, jedoch als sehr interessante. Die einen lieben diesen Ort, die anderen kommen damit gar nicht klar. Wie es sonst auch in Indien ist, gibt es hier nicht wirklich ein „dazwischen“. Umso gespannter war ich vor meinem Besuch.
Als ich am frühen Vormittag ankam, waren die Straßen fast wie leergefegt, wenn ich das mit den zuvor besuchten Millionenstädten so vergleiche (es dürfte hier auf den Straßen zumindest jeden Sonntag etwas gesitteter zugehen). Am nächsten Tag war der Verkehr der Stadt wie ausgewechselt. Nahe dem Ganges, aber noch ein Stückchen entfernt, wurde ich nach einer 40-minütigen Taxifahrt fast wortwörtlich aus dem Auto geschmissen mit keiner Begründung, da beim Fahrer keine Englisch-Kenntnisse vorhanden waren. Er schwafelte nur etwas in seiner Sprache. Im Nachhinein konnte ich es mir zusammenreimen, denn eine Straße weiter passte kein Auto mehr durch die engen und verwinkelten Gassen hindurch. Zunächst war ich aber schon etwas perplex. Einige Tage zuvor buchte ich mir ein preiswertes Hotel nahe dem Ganges, denn der Fluss war der Hauptgrund meiner Reise nach Varanasi. Mit einem sauberen Bett, einer Dusche und einem WC konnte ich schon gut leben, vor allem, da ich in Varanasi aufgrund meines straffen Zeitplans nur eine Nacht verbrachte.
Wer sich mehr mit der indischen Kultur während seiner Reise auseinander setzen will, muss nach Varanasi reisen. Mehr „Indien“ als dort geht nicht. Gläubige, die hierher kommen, möchten sich im heiligen Fluss Ganges reinwaschen oder sie kommen hierher um zu sterben. Die Verstorbenen umhüllte man in Leinentücher und wurden mit Blumen dekoriert. Anschließend tauchte man sie nochmals in den Ganges, bevor man sie zum Verbrennungsplatz brachte. Es war ein komisches, seltsames Gefühl, wenn man das erste Mal sieht und man begreift, dass dort gerade ein toter Mensch im Wasser lag.
Desto wohlhabender die Familie ist, umso mehr und besseres Holz können sie sich leisten. Das Holz wird nach Gewicht bezahlt bzw. Wohlhabendere fügen dem Scheiterhaufen noch etwas vom edleren Sandelholz hinzu. Während meiner Bootsfahrt brannte es an sechs Stellen gleichzeitig beim Manikarnika Ghat. Auch vom Harishchandra Ghat stieg erheblicher Rauch auf. Die Verbrennung der Verstorbenen findet nur bei den eben beiden erwähnten Ghats statt, wobei erstgenanntes deutlich größer ist. Unter Ghats versteht man die zum Gewässer hinunter führenden Stufen. Um die ganzen Ausmaße besser betrachten zu können, empfehle ich euch eine Bootstour. Die Eindrücke von den unzähligen Ghats wirkten nochmals ganz anders auf mich aus dieser Perspektive. Was mich an der ganzen Sache noch mehr schockierte, ist, dass die ganze Zeremonie öffentlich geschah und geschieht. Jeder kann dabei zuschauen, während eine geliebte Person gerade verbrannt wird. Und im Hintergrund laufen Kühe, Hunde und andere Tiere seelenruhig vorbei.
Schon zur frühen Morgenstunde konnte ich beobachten, wie das Leben am Ganges erwachte. Menschen in jeder Altersklasse wuschen sich und beteten im heiligen Fluss. Manche Männer trugen dabei nur eine Boxershorts oder gingen mit einer Badehose in den Fluss. Die Frauen waren meist, wie auch manche Männer, voll bekleidet. Und nebenan wusch man Kleidung. Ob diese nach dem Waschen sauberer war als zuvor, möchte ich sehr bezweifeln, denn ich habe den Ganges nur grau und schlammig in Erinnerung. Währenddessen es für die Bewohner Varanasis zur Normalität gehört, war es und ist es für mich nach wie vor sehr gewöhnungsbedürftig. Ich würde nicht einmal mit meiner kleinen Zehe in den Fluss eintauchen. Für mich wird dieser Ort immer etwas Besonderes bleiben – zum ersten Mal sah ich einen toten Menschen im realen Leben. Indem ich wusste, dass mich das solche Eindrücke erwarten könnten, reiste ich bereits mit großem Respekt an.
Wie in jeder indischen Stadt befinden sich auch hier unzählige Tempel. Alleine wegen der Tempel hier her zu fahren, zahlt sich mit Sicherheit nicht aus. Da gibt es meiner Meinung nach viel schönere in anderen Städten. Ich würde in einem Wort die Tempel in Varanasi als unspektakulär beschreiben.
Varanasi hat aber auch eine andere Seite. Noch nie zockte man mich ab wie hier, egal um was es ging. Zunächst war vieles vom Preis her passabel, hinterher wurde manchmal der Preis verdoppelt und man wurde schon wieder in die nächste Diskussion verwickelt, wenn man nicht den neuen Preis zahlen wollte. Auch mit freiwilligen Führern („Volunteers“) bei den Ghats machte ich nicht gerade die besten Erfahrungen. Ich stand bloß da und schaute mir die abendliche Zeremonie nach der Bootsfahrt an. Nach kurzer Zeit stellte sich ein junger Mann neben mich und fing an zu erzählen – keine zwei Minuten lang. Dann fragte er bereits in einem unverschämten Ton, wo sein Trinkgeld für seine Erläuterungen bleibe, denn er sei Student und habe kein Einkommen. Im Endeffekt ging dann Eines ins Andere, und als er dann zu drohen begann, gab ich ihm umgerechnet ca. drei Euro und weg war er. Ich denke, dass es nicht mehr lange gedauert hätte und er handgreiflich geworden wäre. So ein aggressives Verhalten legte er an den Tag. Wenn man so lange auf Reisen ist, war es mir jedoch klar, dass es irgendwann zu einer nicht so idealen Situation kommen würde. Im Nachhinein betrachtet, härtete es mich ab und von da an wusste ich mich bei einer zukünftigen Situation besser zu schützen. Somit hatte es nicht nur eine schlechte Seite.
Varanasi verbinde ich mit einigen interessanten Erfahrungen, aber meistens bleibt dann doch das Negative länger im Kopf. Dieser Artikel spiegelt jedoch nur meine persönliche Meinung wieder. Ich bin mir sicher, dass es genug Reisende gibt, die problemlos durch Varanasi kamen. Diese Stadt hat mich verändert, aber teilweise auch schockiert. Aktuell kann ich mir aufgrund dessen keine Rückkehr in der näheren Zukunft vorstellen. Trotzdem würde ich noch immer jedem Indien-Reisenden einmal dazu raten, diese Stadt zu besuchen, um diese außerordentliche Atmosphäre spüren zu können.
Hinterlasse einen Kommentar